18.10.2019

Hindernissport extrem – Wenn die Welt zum Parcours wird

Ein Parcours ist traditionell nichts weiter als ein fest abgesteckter Bereich, auf dem Hindernisse verteilt wurden. Über die hüpfen Pferd, Hund, Kaninchen oder Mensch dann drüber. Fertig. Ganz anders läuft die Sache beim Parkour: Gleiche Aussprache, anderes Konzept. Und die schwelende Frage: genial oder gefährlich? Wir haben uns mit einem Sportler darüber unterhalten.

Manche nennen es Kunst, manche Sport, manche lebensmüde: die Rede ist von Parkour. Ein Leistungssport, ursprünglich entwickelt als Fortbewegungsart, die eine Person möglichst effizient von A nach B bringen soll. Über Hindernisse, Abgründe – alles, was Normalsterblichen eben so den Weg versperren könnte – und nur durch die Kraft des eigenen Körpers.

Woher kommt der Sport?

Um Parkour zu verstehen, muss man wissen, wo es seinen Ursprung hat: Frankreich in den 80ern. David Belle, Sohn des Soldaten und späteren Feuerwehrmanns Raymond Belle, lernte Turnen und Leichtathletik quasi zeitgleich mit dem Laufen. Raymond Belle wurde 1939 in Vietnam geboren, wo er schon zu Schulzeiten effiziente Fluchttechniken in „freier Wildbahn“ einübte, um später als Soldat seine Überlebenschancen zu erhöhen. Für David Belle war sein Vater Inspiration und Vorbild zugleich und so transferierte der junge Sportler seine Übungseinheiten kurzerhand von der Halle in die Natur und später in die urbane Umgebung. Die Geburtsstunde des Parkour, wie wir es heute kennen.

Woher kommt der gemischte Ruf?

Eigentlich also alles ganz harmlos, oder? Ein paar Sportler, die die überlaufenen Fitnessstudios gegen Balustraden und Treppen eingetauscht haben. Woher kommen dann immer wieder die Bedenken, Befürchtungen und das unbestimmt mulmige Gefühl im Zusammenhang mit dem Sport? Ganz einfach: Parkour Sportler trainieren ohne Sicherung. Das ist die Essenz, der Spirit des Sports: Nur du und dein Körper gegen den urbanen oder natürlichen Raum. Und nicht immer werden beim Training nur kleine Straßengräben überwunden – manchmal sind diese Gräben Häuserschluchten, die Balustraden Begrenzungen von Hochhäusern.
Wer die körperlichen Fähigkeiten unterschätzt, sich nicht richtig aufwärmt oder wen das „Trainingsgerät“ im Stich lässt, der zahlt schnell einen hohen Preis. Im Jahr 2016 stürzte ein Jugendlicher während eines Trainingslaufs durch eine zerberstende Fiberglasscheibe und dann acht Meter in die Tiefe, wobei er sich schwer verletzte. 
Ist das Regel oder Ausnahme? Und wo genau liegt die Faszination beim Parkour?

Marcel aus Münster hat den Sport selbst einige Jahre ausgeübt und sich mit uns darüber unterhalten: 

T@B: Wie genau bist du damals zu „Parkour“ gekommen? Zu der Zeit war der Trendsport ja noch wesentlich unbekannter als heute.


Die Idee entstand als mein damaliger Sportlehrer (ein Befürworter der eher unkonventionellen Lehrmethoden) eine Doppelstunde Sport mit Parcourslaufen füllen wollte. Allerdings reichte es meinem besten Freund und mir damals nicht, nur über Barren und andere Standard-Sportgeräte zu springen, um möglichst schnell von A nach B durch unsere alte Turnhalle zu kommen. Der Grundgedanke hat uns aber gefallen, sodass wir uns nach Draußen begaben, um herauszufinden, wie facettenreich der Sport wirklich ist. Letztendlich bin ich dieser Sportart circa zwei Jahre treu geblieben. 

 


T@B: Kunst, Sport oder einfach Fortbewegungsart? Was genau ist Parkour denn jetzt eigentlich?


Das ist meiner Meinung nach Interpretationssache. Kunst, Schönheit und ähnliche Dinge liegen ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Viele Fußballbegeisterte sagen ja auch, dass die Jungs, die gegen den Ball treten, "Künstler" sind. Aber letztlich betreiben Messi, Ronaldo und Co. ja auch nur einen Sport. Für mich hat Parkour zweifelsfrei etwas Künstlerisches, auf jeden Fall Ästhetisches, wenn man sich geschmeidig durch ein urbanes Umfeld bewegt und teilweise den Gesetzen der Schwerkraft trotzt.


T@B: Wiederum andere sagen auch, es sei einfach nur lebensgefährlich – stimmt das? Woher kommt der gemischte Ruf der Sportart und ist sie wirklich so gefährlich?


Ganz einfach: Als der Hype um diese Sportart Anfang der 2000er immer populärer wurde, waren die modernen und sozialen Medien gerade im Kommen. Die jungen Menschen versuchten sich auf YouTube, Instagram und Co. zu profilieren und Follower zu sammeln. Viele nutzten Parkour, um wahnwitzige "Stunts" zu vollführen und sich dabei Filmen zu lassen. Teilweise versuchten sie sich an Sprüngen, ohne das nötige Training absolviert zu haben. Dabei entstanden unzählige "Fail"-Videos, die zeigten, wie vermeintliche Parkour-Läufer sich schwer verletzen.
Nachdem diese Videos die Runde gemacht haben, nahmen viele Leute an, dass die Sportart grundsätzlich nur etwas für Wahnsinnige, Selbstmordgefährdete und Selbstdarsteller wäre. Allerdings ist hier, wie bei fast allem im Leben, der gesunde Menschenverstand gefragt. Man trainiert, macht sich langsam mit der Sportart vertraut und nimmt dann immer größere und schwerere Herausforderungen in Angriff. Als Anfänger im 100m Sprint tritt man ja auch nicht direkt gegen Usain Bolt an, sondern trainiert im Leichtathletik-Verein der Heimatstadt, um besser und schneller zu werden.

T@B: Warum hast du denn schließlich damit aufgehört?


Ich habe eine Zeit lang Fußball gespielt, davon hatte ich irgendwann genug. Ich habe eine Zeit lang Tennis gespielt, davon hatte ich irgendwann genug. Ich war eine Zeit lang in einem Schwimmverein, davon hatte ich irgendwann genug. Ich bin eine Zeit lang Parkour gelaufen, davon hatte ich irgendwann genug. 
Allerdings war der Sport, als ich ihn noch betrieben habe, noch in den Kinderschuhen. Es gab keine Gemeinschaft, mit der ich mich richtig austauschen und trainieren konnte. Irgendwann war ich gelangweilt.


T@B: Was hat dir an dem Sport am besten gefallen und wo siehst du vielleicht noch Verbesserungsbedarf?


Mir hat tatsächlich das Köpergefühl bei der gesamten Ausübung gefallen. Der Trainingseffekt beim Parkour ist nicht ansatzweise mit dem eintönigen Gewichtheben im Fitnessstudio zu vergleichen. Das klingt leicht abgedroschen, aber man trainiert tatsächlich Körper, Geist und Sinne, weil man sich auf unglaublich viele Reize konzentrieren und einstellen muss, um die Strecke möglichst schnell, ästhetisch und unverletzt zu absolvieren. 

Verbesserungsbedarf sehe ich eigentlich nicht. Alles was man braucht, hat man, sobald man das Haus verlässt. Alles kann ein Hindernis sein. Spezielle Übungsgelände wären aber vielleicht sinnvoll im Rahmen von Events, um Neulingen den Sport nahezubringen und ihnen Gelegenheit zu geben, unter Aufsicht in die Welt des Parkour reinzuschnuppern.

 
T@B: Ohne jetzt den schlechten Ruf weiter befeuern zu wollen, aber hast du dich beim Parkour laufen jemals ernsthaft verletzt?


Ich habe im Laufe meiner Parkours-Zeit immer mal wieder Ausflüge in die Welt des Tricking/Freerunning gewagt. Dabei steht neben dem schnellen Durchqueren des "Parcours" auch das Vollführen von eleganten Figuren aus der Turnwelt im Vordergrund. Also macht der Läufer z.B. einen Salto an einer Wand oder über ein Gitter, anstatt einfach dran vorbeizulaufen oder möglichst schnell drüber hinwegzuspringen. Bei ebenso einem (missglückten) Wandsalto bin ich mal aus ca. 2.5 m Höhe auf den Rücken geknallt. Ungebremst auf den Betonboden. Ich hab kaum Luft bekommen und dachte tatsächlich für 2-3 Minuten "das war's dann". Nach fünf Minuten Embryonalstellung konnte ich aber nach Hause humpeln und letztlich sind keine bleibenden Schäden entstanden.


T@B: Und falls man es nun doch wagen will: Was würdest du Leuten raten, die mit Parkour anfangen wollen? Was sind die Grundvoraussetzungen?


Mit der Zeit haben sich die Parkour-Läufer unglaublich intensiv vernetzt. In fast jeder größeren Stadt gibt es Parkour-Vereine und -Gemeinschaften. Sollte man Interesse haben, den Sport auszuprobieren, muss man nur einmal eine berühmte Internet-Suchmaschine mit dem Begriff "Parkour" und seiner Heimatstadt füttern und bekommt mit Sicherheit einen Ansprechpartner vorgeschlagen, der einen in diese Welt einführt.
Spezielle Grundvoraussetzungen gibt es eigentlich nicht. Spaß an der Bewegung ist natürlich wichtig, aber wenn der nicht vorhanden wäre, würde man sich ja auch nicht für den Sport interessieren. 

Danke für das Gespräch und viel Spaß bei den nächsten Sportarten ;)


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